Schwerpunkt: Politik – Bundestag
Denk-Blockaden und populistische Strömungen – Schwere Zeiten für einen grünen Sozialpolitiker
Mo., 19.06.2017
„Neben uns die Sintflut“, so der Titel eines kürzlich erschienen Buches[1], in dem anschaulich dargestellt wird, was wir schon lange wissen (können): Wir leben über die Verhältnisse – nicht unsere, sondern „über die Verhältnisse anderer“. Im Kern meint dies, dass der Lebensstandard in den „reichen, hochindustrialisierten Gesellschaften“ (auch) auf der Ausbeutung von Menschen und Ressourcen in „ärmeren, weniger ´entwickelten‚ Weltregionen“ beruht und „die negativen Effekte“ dorthin ausgelagert werden.[2]
Giftige Abfallberge in den Ländern der Peripherie, die Zerstörung natürlicher Grundlagen, die Nutzung billiger Arbeitskraft, hemmungsloser Ressourcenverbrauch, die Verwüstung ganzer Landstriche und Zerstörung einheimischer Versorgungsstrukturen. Die Beispiele für das „gute Leben auf Kosten anderer“ ließen sich fortsetzen.
Doch all das scheint bei uns nur wenige zu interessieren. Umfragen konstatieren wachsende Sicherheitsbedürfnisse. Populistische Strömungen und nationalistische Parteien ziehen auch Menschen an, die zuvor eine der etablierten Parteien oder DIE LINKE gewählt haben. Die Angst, …
der Zuspruch zu nationalistischen Parteien könnte noch größer werden, lässt die konservativen Kräfte weiter nach rechts rücken. Zeigen die Umfragen nicht, dass die Wählerschaft es ihnen dankt?
Jedenfalls scheinen all diese TeAngndenzen besonders für jene kleinen Oppositionsparteien bedrohlich, die sich, wie Bündnis 90/Die Grünen, seit Jahren für eine sozial-ökologische Wende einsetzen. Beispiele: Vollständiger Umstieg auf erneuerbare Energien, menschenwürdige Asylpolitik, Ausstieg aus der Massentierhaltung, Garantierente und Bürgerversicherungst, Regeln für einen fairen Welthandel. Aber wen interessiert das schon (ernstlich)? Und: „Grün kann heute jeder“, wie der STERN im April meinte.[3] Stimmt das? Grün kann jede Partei? So wie auch sozialdemokratisch jede kann? Oder war das gestern? Vielleicht vorgestern?
Wie geht es einem bei alledem, einem, der (als Arbeiter-„Kind“) mit 17 bei den GRÜNEN eintrat und auch als Bundestagsabgeordneter nie davon abgelassen hat, für ökologische Ziele und gerechtere Lebensbedingungen einzutreten? Was motiviert ihn? Was gibt ihm die Kraft, sich für die Ziele der Partei und für seine favorisierten politischen Ziele tagtäglich einzusetzen? – Wo doch die Denk-Blockaden allgemein größer zu werden scheinen, Fakten gerne ignoriert werden und Vorurteile Raum greifen. Wo sich offenkundig die Haltung verbreitet, dem Bauchgefühl eines gekränkten Ichs müsse lautstark Geltung verschafft werden.
Wie empfindet Mensch als Politiker diesen sichtbaren Bedeutungsverlust von Offenheit, Neugier, Bedachtsamkeit und Respekt?
Denk-Blockaden sind ja an sich nichts Neues. Einem Sozialpolitiker, zumal aus einer Oppositionspartei, begegnen sie nur allzu oft. Dass Argumente ignoriert oder abgewehrt werden, Vorurteile und „Bauchgefühle“ das Abstimmungsverhalten (auch) von Abgeordneten beeinflussen, gehört zur Debatten-„Kultur“ im „Hohen Haus“ (Roger Willemsen) – so etwa beim Hartz-IV-Regelsatz oder den Sanktionen. Aber nehmen die Denk- Blockaden nicht allerorten zu?
Was hilft gegen Denk- Blockaden? Gegen die Macht des Vorurteils, gegen Ignoranz?
Über solche und weitere Fragen wollen wir uns mit unserem Gesprächspartner, der (mit einer kurzen Unterbrechung) seit 2008 dem Bundestag angehört, austauschen. Der habilitierte Volkswirt hat sich viele Jahre mit den Ursachen und verschiedenen Ausprägungen von Armut, mit Fragen der Alterssicherung, mit dem Zusammenhang von Ökologie und Verteilungsgerechtigkeit beschäftigt.
Er ist sozialpolitischer Sprecher seiner Fraktion und zugleich einer der bekannteren Verfechter eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). Was hält er als Ökonom den Kritikern entgegen, welche die Finanzierbarkeit des BGE anzweifeln? Wie passt das BGE mit grünen Zielvorstellungen zusammen, und wie mit den (eingangs) skizzierten großen drängenden Problemen?
Für den Austausch mit ihm im Bundestag sind 1 ½ Stunden vorgesehen.
Der erste Teil der „Tour“ – auf
dem Weg zum Bundestag – dient der inhaltlichen Einführung und Vorbereitung auf
das Gespräch. Dabei werde ich sowohl auf die Idee eines Bedingungslosen
Grundeinkommens eingehen, als auch auf die oben angerissenen scheinbar fernab
liegenden Probleme. Der Fußweg selbst wird kurz sein, während der Einführung
werden wir zwei, drei kurze Stopps einlegen.
[1] Stephan Lessenich (2016): Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis, Köln
[2] Lessenich 2016: 24
[3] STERN v. 20.4.2017 http://www.stern.de/politik/deutschland/die-gruenen–vier-gruende–warum-man-sie-einfach-nicht-mehr-waehlen-kann-7418740.html